24. Februar 2011: Nach dem Krieg im Schlafzimmer

Stars - In Our Bedroom After The War

Die meisten Menschen in unserer westlich zivilisierten Welt führen ihren letzten Krieg in ihrer Jugend. Eltern und Lehrer sind die unmittelbar Vorgesetzten und die Gesellschaft der oberste Befehlshaber.

Jonas liegt im Bett und schaut aus dem geöffneten Fenster. Kälte strömt ins Zimmer. Es schneit, obwohl sich der Februar dem Ende neigt. Einige Schneeflocken verirren sich auf die Fensterbank und schmelzen in der schlafverschwitzten Zimmerluft. Die Vögel auf den Dächern und in den kahlen Baumkronen entrüsten sich über den Wetterumschwung. Die Kirchenglocken kündigen an, dass es Zeit zum Aufstehen sei.

Bereits als Kind wird einem erklärt, dass man sich gewiss einige Freiheiten nehmen, eine eigene aufgeklärte Meinung vertreten könne. Das Wichtigere sei aber, ein funktionierender Mensch und Teil der Gesellschaft zu werden, die Regeln, die Befehle einzuhalten, an das große Ganze zu glauben, das Wohl des sozialen Umfelds, der Gemeinschaft, der Truppe, der Kompanie, des Vaterlandes den eigenen Interessen, dem eigenen Wohlergehen bei Entscheidungen vorranzustellen. Wenn man dies nicht einhalte, riskiere man die eigene Zukunft, erbringe seinen Eltern nicht den gebührenden Respekt und vernachlässige den Schutz des etablierten Wertesystems. Man solle Disziplin und Ausdauer bei dieser wichtigen Aufgabe beweisen. Man habe im Leben nur etwas erreicht, wenn man Disziplin und Ausdauer beweise.

Perfekt funktionierende Soldaten und Menschen sterben meist in den ersten Sekunden des Angriffs im Kreuzfeuer. Der aufgeklärte Soldat, der Gebrauch von den ihm doch zugesprochenen Freiheiten gemacht hat, kauert orientierungslos, frierend, verängstigt, wütend und aus egoistischem Selbsterhaltungstrieb seiner Gedanken im Schützengraben der Pubertät. Aber man kann den Kampf nicht aussitzen. Wenn man nach wochenlangem Hocken im Matsch den Sinn nicht erkennt, quält einen der Hunger nach Funktion und man rennt ins letzte, tödliche Gefecht.

Als Überlebender eines tatsächlichen Krieges, welche zum Glück nur noch Wenige von uns in der westlich zivilisierten Welt heutzutage miterleben müssen, wird man als Held gefeiert. Als Überlebender der Pubertät kann man sich nur selbst zum Erhalt der eigenständigen, aufgeklärten Gedanken gratulieren. Man ist nun erwachsen und hat trotzdem nicht aufgehört zu hinterfragen. Doch irgendwann, früher oder später, holen einen die Kriegserinnerungen immer ein und man stellt fest, dass das Hinterfragen keinen Sinn hat, weil es keinen Sinn gibt. Man verfällt in Depression und hungert wieder nach Funktion, denn der Hunger nach etwas Größerem als das große Ganze kann nicht gestillt werden und bevor man verhungert, ist man doch lieber ein lebender Toter als ein toter Lebender.

Jonas richtet sich auf, beobachtet die funktionierenden Menschen auf der Straße und schaut in ihre emotionslosen Gesichter. Er schüttelt den Kopf, umarmt kurz die Hoffnungslosigkeit seiner Winterdepression und lächelt. "Heute noch nicht. Heute wird noch nicht funktioniert. Heute wird nochmal still und leise gelebt." Nach Kreislaufzigarette, -kaffee und heißer Dusche macht er sich auf den Weg ins Graceland.

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2 Kommentare:

  1. Word.

    Wobei ich die substantiellen Drogen überspringe. Und vermutlich auch das Leben *lach* Ansonsten: "Hack the planet!"

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  2. Sehr schön geschrieben!

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